Rund 20% aller Kinder wachsen in Armut auf. Armut heißt: Der Familie steht weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Haushaltseinkommen zur Verfügung. Oft ist Armut mit einem Migrationshintergrund gekoppelt. In Braunschweig leben die Familien mit einem besonderen Unterstützungsbedarf überwiegend in der Weststadt, Westlichen Ringgebiet, Bebelhof oder dem Siegfriedviertel.
Braunschweigs Maßnahmen gegen Kinderarmut
Kinderarmut kann über Förderung aus dem Bildungs- und Teilhabegesetz gelindert werden. Dazu gehört das kostenfreie Mittagessen in der Ganztagsschule und in der Schulkindbetreuung, die Förderung von Klassenfahrten, ein Zuschuss in Höhe von 15€ pro Monat für Sport, Kultur und andere Angebote sowie ein Lernmittelzuschuss in Höhe von 150€ pro Schuljahr. Alles in allem ist die Beantragung sehr bürokratisch. Wer Kinder hat weiß außerdem, dass die genannten Summen bescheiden sind.
In Braunschweig gibt es einen Beirat samt Konzept zur Bekämpfung von Kinderarmut. Dazu gehört auch ein Spendenfonds, aus dem zusätzliche Einzelfallhilfen gewährt werden. Es gibt nicht nur materielle Unterstützung. Sämtliche Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und des Sozialen werden berücksichtigt. Das Konzept ist bezüglich konkreter Maßnahmen zu aktualisieren.
Aus der „Herkunftsfalle“ rauskommen
In Deutschland ist wie in keinem der westlichen Länder Europas der Bildungserfolg so stark abhängig vom sozialen und ökonomischen Status der Familie, in die ein Kind hineingeboren wird. Diese Situation wird durch die Covid-Pandemie noch verschärft! Es ist deshalb unsere gesellschaftliche Aufgabe, diese Korrelation zwischen Armut und geringem Bildungserfolg sowie häufig zusätzlich verschärft durch eine Migrationsbiografie endlich zu durchbrechen.
Die Hauptschule verkommt zu einer „Restschule“. Die Schülerzahlen an den Realschulen sinken stetig. Alle streben auf die Gymnasien und die Integrierten Gesamtschulen. Daraus folgt für mich: Die Hauptschulen in den Blick zu nehmen und stärker zu fördern. Der Ausbau des von vielen Eltern gewünschten Angebots an Integrierten Gesamtschulen ist richtig.
Die Länder müssen sich fragen, ob das dreizügige Schulsystem vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen noch zeitgemäß ist. Denn es stigmatisiert zunehmend die Schülerinnen der Haupt- und Realschulen und senkt das Lernniveau der Gymnasien. Ein möglichst langes gemeinsames Lernen mit individueller Förderung und späterer Differenzierung nach Leistungsstärken verspricht mehr Erfolg für alle. Auch eine Aufgabe für die Länder: kleinere Klassen und damit mehr Lehrerinnen.
Braunschweigs Aufgaben in der Schule
Die kommunalen Schulsozialarbeit ausbauen. Ziel muss es sein, mindestens eine kommunale Schulsozialarbeiter*in an jeder weiterführenden Schule zu haben. Diese ergänzt die vom Land finanzierte Schulsozialarbeit. Im weiteren Schritt brauchen wir diese kommunale Schulsozialarbeit bereits in den Grundschulen – mindestens der oben benannten Stadtteile.
Der Ausbau von Ganztagsschulen mit entsprechender Ausstattung in jeder Schulform oder ergänzende Schulkindbetreuung an Grundschulen kann die Chancen aller Kinder auf ein selbstbestimmtes Leben deutlich erhöhen. Während die Gymnasien weitgehend alle Ganztagsschulen sind, hinken wir bei den Haupt- und Realschulen hinterher. Das kann nicht sein!
Der Bund hat den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler ab 2025 beschlossen. Der Vorteil dabei ist, dass alle Kinder eine Hausaufgabenbetreuung und eine individuelle Förderung am Nachmittag erhalten.
Braunschweig verfolgt das Modell der kooperativen Ganztagsschule (KoGS). Das bedeutet eine Zusammenarbeit von Schulen und durch die Stadt wesentlich finanzierte Träger der Jugendhilfe am Nachmittag mit qualitativ guter Personalausstattung. Die Hälfte aller 40 Grundschulen ist in diesem Modell. Ziel muss es sein, alle Grundschulen in das Modell zu überführen – was in der baulichen Umsetzung eine große Herausforderung ist, leider!
Aktuell gibt es in den Grundschulen, die nicht im KoGS-Modell sind, Schulkindbetreuung in Gruppen. Damit können rund 60% der Kinder betreut werden. Deshalb soll dieser Betreuungsschlüssel auf 80% bis zur vollständigen Überführung aller Grundschulen in das KoGS-Modell erhöht werden.
Braunschweigs Aufgaben außerhalb der Schulen
Bildung muss ganzheitlich gesehen werden. Sie ist mehr als Wissensvermittlung und muss auch soziale, musische, künstlerische und sportliche Kompetenzen fördern. Hier leisten unsere vielen Jugendzentren eine gute Arbeit. Wir müssen sie pflegen und erhalten. Ergänzend lasst uns Angebote von Sportvereinen, Kultureinrichtungen und Nachbarschaftsangebote im Quartier ausbauen.
Es gibt Jugendliche mit hohem Förderbedarf. Wir können und dürfen Schulverweigerer oder Jugendliche ohne Abschluss nicht vergessen. Sie brauchen die bestehenden speziellen Programme wie die Kompetenzagentur beim Jugendamt, gesonderte Praxisklassen und Schulbildungsberatung.
Abschließend ist für Kinder und Jugendliche aus nichtdeutschsprachigen Familien die Sprachförderung von besonderer Bedeutung. Hier halten wir Vorklassen in der Volkshochschule vor oder haben das Rucksackprojekt. Bei letzterem trifft sich eine Gruppe von Eltern in ihrer Kita und lernen gemeinsam Spiele, Aktivitäten und Übungen kennen, mit denen sie ihre Kinder spielerisch und mit Spaß zu Hause fördern können.
Das alles brauchen wir! Das alles müssen wir erhalten und ausbauen.
Eure Tatjana